Freitag, 27. April 2012

Der Bischof und die Startbahn


Von: Tobias Haberl

In: Bürger in sozialen Schwierigkeiten (BISS), November 2011, S. 6-9

Alle Rechte bei den Autoren und dem Verlag. 

Eigentlich wäre er am 29. Oktober sehr gern dabei gewesen, als sie auf dem Marienplatz wieder einmal gegen die dritte Start- bahn des Münchner Flughafens demonstriert haben, aber der Termin passte leider nicht so recht: ,,An dem Tag hatte ich eine Firmung", sagt Bernhard Haßlberger. Er ist eben kein Lehrer, der sich einen Samstag frei halten kann, er ist Bischof, genauer Weihbischof in der Erzdiözese München und Freising. Und ja, er ist auch gegen diese Startbahn, er glaubt nicht, dass man sie wirklich braucht, aber er hat nun mal auch noch andere Termine und die sind auch wichtig in einer Zeit, in der die Menschen scharenweise aus der Kirche austreten. ,,Trotzdem", sagt er, „wenn ich irgendwie kann, bin ich dabei, wenn es gegen diese Startbahn geht.“
Die Sache mit der Startbahn Drei hat sein Leben ganz schön verändert. Seit fünf Jahren beschäftigt er sich jetzt schon mit dieser Angelegenheit, führt Hintergrundgespräche, gräbt sich durch Aktenberge, tröstet Betroffene, diskutiert mit in Ordinariatssitzungen, aber er kann nicht anders, Freising, Pulling, Attaching, das Erdinger Moos, das ist sein Gebiet, der Norden der Diözese, da kennt er die Menschen und kann nicht so tun, als ginge ihn das alles nichts an. Überhaupt: Weghören — das geht sowieso nicht. In Pulling muss der Pfarrer ja schon heute alle zwei Minuten seine Rede unterbrechen, wenn er jemanden andachtsvoll unter die Erde bringen will, weil ihn die Trauergäste sonst nicht mehr verstehen, bei dem Fluglärm. ,,Wenn ich auf dem Domberg in Freising stehe“, sagt Haßlberger, ,,kann ich die Flugzeuge starten und landen sehen.“ Auch den Lärm hört man jetzt schon.
Eigentlich sieht das zwar ganz schön aus, wie die Flieger so majestätisch die Luft zerschneiden, aber was wäre, wenn der Flughafen und mit ihm der Krach, der Stress, die Hektik näher an Freising heranrücken würden? Die katholische Kirche kämpft um ihre Berechtigung in der Welt, ihr Papst gegen die Säkularisierung und den Relativismus - und Bischof Haßlberger kämpft zu Hause, wo die Menschen Sorgen haben. Das kann auch mal in Stress ausarten, meint er, schließlich ist diese unselige Geschichte ziemlich kompliziert. In siebenundvierzig Aktenordnern hat die Flughafengesellschaft ihren Bauantrag begründet. Die Genehmigung der oberbayerischen Regierung zwanzig Ordner.
„Dritte Startbahn – Größenwahn“ steht auf einem Schild, das gleich am Ortseingang von Freising zu finden ist. Die Menschen sind in Aufruhr, und Weihbischof Haßlberger ihrer Seite. Nicht wie ein Demonstrant, der Parolen in die Luft schleudert. sondern wie ein Kirchenmann, vermittelnd, diplomatisch, friedlich. Immer hat er auch die andere Seite im Blick, denn eines ist klar: „Bei Großprojekten können nie alle zufrieden sein, irgendjemand ist da immer der Verlierer.“ Trotzdem, ein paar Mal ist er schon mitgegangen bei den Lichtermärschen der Demonstranten, Naturschützer und Anwohner, hat tröstende Worte gesprochen, Menschen in den Arm genommen,  er kann sich nicht raushalten, die Verzweiflung der Bürger berührt ihn, ,,da geht es an die Existenz", sagt er.
Bernhard Haßlberger ist kein belehrender Intellektueller, man merkt das schnell, wenn man ihm in seinem Münchner Büro gegenübersitzt. Nie hat man das Gefühl, mit einem Bischof zu sprechen, keine Allüren, nichts Hochgestochenes, im Gegenteil, eher wirkt er wie ein oberbayerischer Dorfpfarrer, natürlich, bodenständig, fast hemdsärmelig. Er spricht ein warmes und tiefes bairisch, man kann sich gut vorstellen, wie er als Junge in Ruhpolding aufgewachsen ist, zwischen den Bergen, in der Nachkriegszeit. ,,Das ist meine Heimat“, sagt er, ,,dieser Landstrich hat mich geprägt, der Fleiß der Menschen, die Natur, das einfache Bergleben.“
Später hat er in München studiert, 1977 empfing er in Freising vom heutigen Papst Benedikt die Priesterweihe, von 1987 bis 1994 war er Direktor des Kardinal-Döpfner-Hauses in Freising und Rektor des Doms. „Meine schönste Zeit", sagt er wehmütig, weil er damals jeden Tag Bibelstudien betreiben konnte, seine große Leidenschaft. Aber der liebe Gott hatte etwas anderes mit ihm vor, und so erhielt er im Jahr 1994 die Bischofsweihe. Er stieg auf und wurde Repräsentant einer Kirche, die wegen Missbrauchsskandalen in die Schlagzeilen geraten ist und darauf achtgeben muss, dass sie glaubwürdig bleibt.
Um den guten Ruf seiner Kirche ist Haßlberger natürlich auch besorgt. Sich anzubiedern liegt ihm aber nicht. Er gehört  zu den leisen, warmherzigen Kirchenoberen, es ist ihm fast peinlich, wenn die Menschen auf dem Land ehrfurchtsvoll schauen, „wenn der Bischof mal vorbeikommt“. Vor ein paar Monaten, berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass er in einer Schulklasse für die Eheschließungen von Priestern plädiert habe. „Für die, die sich mit dem Zölibat schwertun, wäre es wohl gut, wenn sie einfach Priester bleiben und trotzdem eine Familie gründen könnten“, soll er gesagt haben. Dann hätte die Kirche nämlich wieder mehr Pfarrer. Was soll man sagen? Der Papst darf es zwar nicht hören, aber die Kinder im Klassenzimmer werden ihn verstanden haben.
Warum aber setzt sich ein Bischof überhaupt gegen diese Startbahn ein, die am Ende — das sieht er ganz realistisch – wohl sowieso kommen wird? Denn erstens will sie die bayerische Landesregierung unbedingt, und zweitens wird der Protest, anders als bei Stuttgart 21, zumindest bis jetzt noch nicht überregional wahrgenommen, in der Tagesschau oder im Heute journal spielt der Streit keine Rolle. Haßlberger gibt verschiedene Gründe für sein Engagement an: Einmal, und das sei für ihn der entscheidende Punkt, gehe es um persönliche Schicksale. Er hat die Menschen, die der Startbahn weichen müssten, weinen sehen. Er kann sich vorstellen, was es für sie bedeutet, ihre Heimat zu verlieren, an Traditionen und Erinnerungen zu hängen. Er weiß, dass man eine gewachsene Dorfstruktur nicht einfach so fünfzig Kilometer n weiter nördlich wieder aufbauen kann. ,,Diese Menschen, die von ihren Grundstücken vertrieben werden, werden zu Fremden“, sagt er. Nicht weniger tragisch: Diejenigen, die außerhalb der sogenannten Absiedlungszone leben, sind trotz der drohenden Beeinträchtigung durch den Lärm an ihre Heimat gekettet, weil ihr Grund und Boden an Wert verlieren wird und sie ihre Häuser nur mit Verlust verkaufen könnten. Wer will schon im Garten sitzen, wenn einem die Flugzeuge über den Kopf donnern?
Punkt zwei: die Bewahrung der Schöpfung. Genau wie der Papst, der im Bundestag vor Kurzem die Anfänge der ökologischen Bewegung gelobt hat, geht es auch Bernhard Haßlberger um die Beziehung zwischen der Natur und dem Menschen.
„Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es kritisch wird", sagt er, das Gleichgewicht gerate ins Wanken. Noch mehr Passagiere, noch mehr Flugzeuge, noch mehr Mobilität und Waren und Straßen — als Mann Gottes muss er das kritisch sehen, „die Straßen rund um Freising sind doch jetzt schon verstopft“. Und wohin der Wachstumsgedanke führt, kann man gerade jeden Tag in den Nachrichten sehen. München soll das Drehkreuz des Südens werden, ein bedeutender Knotenpunkt im internationalen Personen- und Warenverkehr, aber muss das sein? Geht es uns nicht gut genug?
Dazu kommt, dass die katholische Kirche selbst Grundstücke besitzt, die für den Bau der Startbahn notwendig wären. ,,Wir haben beschlossen, sie nicht zu verkaufen", sagt der Bischof, ,,und das finde ich gut, als Zeichen", da habe der Erzbischof Reinhard Marx bei seiner Entscheidung das richtige Händchen gehabt. ,,Am Ende", glaubt Haßlberger, ,,wird es uns gehen wie den anderen: Wir werden enteignet, aber dann haben wir wenigstens nicht mitgemacht."
Denn einige Sachen, so Haßlberger, seien bei dem ganzen Hin und Her nicht ganz korrekt verlaufen: Bei einer öffentlichen Eröterung in Oberschleißheim habe man die Einwände der Menschen nicht ernst genommen, die Betroffenen seien da ganz schön abgekanzelt worden. Und warum wurde der Planfeststellungsbeschluss ausgerechnet in den Sommerferien zur Diskussion vorgelegt, wenn die meisten im Urlaub sind? Ganz koscher komme ihm das alles nicht vor, sagt Haßlberger, und übrigens -·das habe er auch von Leuten gehört, die neutral seien, nicht nur von Betroffenen.
Bernhard Haßlberger ist einer, der sagt, was er denkt, und tut, was er sagt. Der feinfühlig und empathisch ist. Man merkt, dass er früher mal in der Polizeiseelsorge und der Jugendarbeit tätig war. Er kann mit Menschen. Und dann sagt er noch etwas Spannendes, nämlich dass er sich für Naturwissenschaften interessiert. Er, ein Mann des Glaubens, hat eine Schwäche für die Wissenschaft: ,,Ich gebe zu, dass ich die Unschärferelation von
Heisenberg nicht komplett verstehe, aber faszinierend ist sie. Da werde ich ganz klein und spüre, wie großartig die Welt, wie komplex unser Universum ist." Sein nächster Satz hat dann aber doch wieder mit dem lieben Gott zu tun: ,,Und natürlich merke ich dann jedes Mal, wie groß eigentlich der liebe Gott ist.“
Haßlberger ist überzeugt, dass die Kirche den Glauben wieder so rüberbringen müsse, dass die Menschen auch merken, dass Religion etwas mit ihrem Leben, ihren Problemen und Ängsten zu tun hat. „Ich kann schon verstehen, wenn sich immer mehr Menschen fragen: Was hat das alles mit mir zu tun?“ Auch deswegen kämpft er gegen diese vier Kilometer lange Teerstrecke vor seiner Haustür. Anfang November hat das Anti-Startbahn-Bündnis „Aufgemuckt" die nächste öffentliche Aktion geplant. Wenn alles gut geht, wenn nichts dazwischenkommt, ist Bischof Haßlberger mit von der Partie.

Mittwoch, 4. April 2012

Warum Günter Grass Kritik an Israel üben darf.

Vom deutschen Volk ging das unbeschreiblichste Leid aus, das je einer Gruppe von Menschen zugefügt wurde. Die systematische Vernichtung der Juden ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. Ich als Deutscher, der nach 1945 geboren wurde, fühle mich nicht schuldig für die unmenschlichen Greueltaten während der Nazi-Herrschaft dem jüdischen Volk gegenüber. Aber ich fühle mich aufgrund dieser Schande verantwortlich, dass sich so etwas zu keiner Zeit nirgendwo auf der Welt wiederholt.
Das Existenzrecht des Staates Israel ist unantastbar. Sämtliche Drohungen von Regierungen oder sonstigen (terroristischen) Gruppierungen Israel gegenüber sind zu verurteilen.
Ich habe im Jahre 2009 fünf wunderbare Monate in Israel verbracht. Das Land ist in vielerlei Hinsicht faszinierend. Ich wurde von allen Menschen herzlich behandelt. Mittlerweile lerne ich Hebräisch bei einem Juden, der in München lebt.
All das sage ich, um mich - noch ohne etwas geschrieben zu haben - gegenüber dem zu erwartenden Vorwurf des Antisemitismus zu verteidigen, wenn ich Günter Grass gegen Kritik verteidge.
Zunächst: Der Vorwurf des Antisemitismus ist generell unangebracht, wenn Kritik am Staat Israel geübt wird. Antisemitismus heisst, man ist grundsätzlich negativ gegenüber der jüdischen Religion und ihren Mitgliedern eingestellt. Weder bringt Grass dies mit seinem Gedicht dies zum Ausdruck, noch habe ich dies im Folgenden vor. Sondern es geht um den Staat Israel und um Kritik an dessen Aktionen. Um Kritik, und nicht um Ausdruck einer negativen Einstellung. Kritik am Staat Israel zu üben ist nicht mehr oder weniger verwerflich als Kritik an den USA oder an Kuba. Wenn Punkte zu kritisieren sind, sind diese mit Argumenten zu rechtfertigen. Die Überzeugungskraft dieser Argumente und deren Verträglichkeit mit demokratischen Grundsätzen sind der Maßstab, anhand derer Kritik zu messen ist.
Laut SZ kritisiert Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, dass das Gedicht es "mehr ein Hasspamphlet" sei und ein "Vermächtnis von Verdrehungen und Verwirrungen". Mich würde interessieren, aus welcher Passage des Gedichts Herr Graumann dies herausliest. Es wird weitestgehend sachlich dargestellt, dass die Atomwaffen Israels nicht geprüft werden (können) und dass Israel den ohnehin brüchigen Weltfrieden gefährdet. Letzteres ist zugegebenermassen ziemlich allgemein und kann auch anderen Staaten gerechtfertigterweise vorgeworfen. werden. Zudem behauptet Grass, das "diese Region" vom Wahn okkupiert sei - da ist wohl auch Israel damtit gemeint. Zugegeben pauschal - aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Ansonsten war es das mit Kritik. Woraus hieraus Hass entnommen werden kann, bleibt mir ein Rätsel.
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, spricht von einem "durchschaubaren Schmierentheater". Liebe Frau Knobloch, diese Argumentation ist genauso begriffsüberladen und inhaltsleer wie Ihre Werbung für die dritte Startbahn am Münchner Flughafen: Erläutern sie mir doch bitte, welches Schmierentheater Herr Grass spielt und was daran durchschaubar ist - zumindest ich durchschaue das nicht.
In einer Erklärung der israelischen Botschaft in Berlin heißt es, "es gehöre zur europäischen Tradition, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen". Keine Zeile des Gedichts spricht von Juden, die morden, und ich verwehre mich gegen den Vorwurf, dass es in meiner Tradition steht, derartige Anklagen auszusprechen.
Henryk M. Broder - wer immer das auch ist - nennt Grass den "Prototypen des gebildeten Antisemiten". Wie erwähnt, der Vorwurf des Antisemitismus ist Blödsinn. Zudem wirft er Grass vor, dass dessen Lösung für Frieden im nahen Osten es sei, dass Israel "Geschichte wird". Bitte liest nochmal jemand das Gedicht, ich finde keine Passage, wo man so etwas auch nur ansatzweise hineindichten könnte.
Zwei Unionspolitiker und ein SPD-Politiker geben auch noch etwas von sich, werfen Grass hauptsächlich Oberflächlichkeit und Unkenntnis von Historie und aktueller Lage im Nahen Osten vor. Als ob er behauptet hätte, die Lösung parat zu haben.
Alles in allem: Besonders anspruchsvoll finde ich Grass' Gedicht nicht, weder ästhetisch noch vom Inhalt. Aber er tut etwas, was ruhig öfter passieren könnte: Sachliche Kritik am Staat Israel. Ohne Juden zu hassen.