Mittwoch, 4. April 2012

Warum Günter Grass Kritik an Israel üben darf.

Vom deutschen Volk ging das unbeschreiblichste Leid aus, das je einer Gruppe von Menschen zugefügt wurde. Die systematische Vernichtung der Juden ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. Ich als Deutscher, der nach 1945 geboren wurde, fühle mich nicht schuldig für die unmenschlichen Greueltaten während der Nazi-Herrschaft dem jüdischen Volk gegenüber. Aber ich fühle mich aufgrund dieser Schande verantwortlich, dass sich so etwas zu keiner Zeit nirgendwo auf der Welt wiederholt.
Das Existenzrecht des Staates Israel ist unantastbar. Sämtliche Drohungen von Regierungen oder sonstigen (terroristischen) Gruppierungen Israel gegenüber sind zu verurteilen.
Ich habe im Jahre 2009 fünf wunderbare Monate in Israel verbracht. Das Land ist in vielerlei Hinsicht faszinierend. Ich wurde von allen Menschen herzlich behandelt. Mittlerweile lerne ich Hebräisch bei einem Juden, der in München lebt.
All das sage ich, um mich - noch ohne etwas geschrieben zu haben - gegenüber dem zu erwartenden Vorwurf des Antisemitismus zu verteidigen, wenn ich Günter Grass gegen Kritik verteidge.
Zunächst: Der Vorwurf des Antisemitismus ist generell unangebracht, wenn Kritik am Staat Israel geübt wird. Antisemitismus heisst, man ist grundsätzlich negativ gegenüber der jüdischen Religion und ihren Mitgliedern eingestellt. Weder bringt Grass dies mit seinem Gedicht dies zum Ausdruck, noch habe ich dies im Folgenden vor. Sondern es geht um den Staat Israel und um Kritik an dessen Aktionen. Um Kritik, und nicht um Ausdruck einer negativen Einstellung. Kritik am Staat Israel zu üben ist nicht mehr oder weniger verwerflich als Kritik an den USA oder an Kuba. Wenn Punkte zu kritisieren sind, sind diese mit Argumenten zu rechtfertigen. Die Überzeugungskraft dieser Argumente und deren Verträglichkeit mit demokratischen Grundsätzen sind der Maßstab, anhand derer Kritik zu messen ist.
Laut SZ kritisiert Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, dass das Gedicht es "mehr ein Hasspamphlet" sei und ein "Vermächtnis von Verdrehungen und Verwirrungen". Mich würde interessieren, aus welcher Passage des Gedichts Herr Graumann dies herausliest. Es wird weitestgehend sachlich dargestellt, dass die Atomwaffen Israels nicht geprüft werden (können) und dass Israel den ohnehin brüchigen Weltfrieden gefährdet. Letzteres ist zugegebenermassen ziemlich allgemein und kann auch anderen Staaten gerechtfertigterweise vorgeworfen. werden. Zudem behauptet Grass, das "diese Region" vom Wahn okkupiert sei - da ist wohl auch Israel damtit gemeint. Zugegeben pauschal - aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Ansonsten war es das mit Kritik. Woraus hieraus Hass entnommen werden kann, bleibt mir ein Rätsel.
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, spricht von einem "durchschaubaren Schmierentheater". Liebe Frau Knobloch, diese Argumentation ist genauso begriffsüberladen und inhaltsleer wie Ihre Werbung für die dritte Startbahn am Münchner Flughafen: Erläutern sie mir doch bitte, welches Schmierentheater Herr Grass spielt und was daran durchschaubar ist - zumindest ich durchschaue das nicht.
In einer Erklärung der israelischen Botschaft in Berlin heißt es, "es gehöre zur europäischen Tradition, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen". Keine Zeile des Gedichts spricht von Juden, die morden, und ich verwehre mich gegen den Vorwurf, dass es in meiner Tradition steht, derartige Anklagen auszusprechen.
Henryk M. Broder - wer immer das auch ist - nennt Grass den "Prototypen des gebildeten Antisemiten". Wie erwähnt, der Vorwurf des Antisemitismus ist Blödsinn. Zudem wirft er Grass vor, dass dessen Lösung für Frieden im nahen Osten es sei, dass Israel "Geschichte wird". Bitte liest nochmal jemand das Gedicht, ich finde keine Passage, wo man so etwas auch nur ansatzweise hineindichten könnte.
Zwei Unionspolitiker und ein SPD-Politiker geben auch noch etwas von sich, werfen Grass hauptsächlich Oberflächlichkeit und Unkenntnis von Historie und aktueller Lage im Nahen Osten vor. Als ob er behauptet hätte, die Lösung parat zu haben.
Alles in allem: Besonders anspruchsvoll finde ich Grass' Gedicht nicht, weder ästhetisch noch vom Inhalt. Aber er tut etwas, was ruhig öfter passieren könnte: Sachliche Kritik am Staat Israel. Ohne Juden zu hassen.

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